Buen Vivir und die Herausforderung sozioökologischer Transformation
von Laura Magenau
Im Rahmen des „Gutes Leben für Alle-Kongresses“ fand ein Workshop zum „Buen Vivir“ (Gutes Leben) statt, der nach dessen Potentialen und Grenzen für sozioökologische Transformation fragte und Raum für eine intensive Auseinandersetzung damit bot. Können wir von Lateinamerika lernen?
Bereits bei der 6. Österreichischen Entwicklungstagung im vergangenen November wurde das Konzept des „Guten Lebens“ als Alternative zu „westlichen“ Entwicklungskonzepten erörtert. Der Workshop, der als Nachveranstaltung zur Entwicklungstagung angeboten wurde, eröffnete Raum, um diese Auseinandersetzung zu vertiefen. Der Workshopleiter Gerald Faschingeder (Paulo Freire Zentrum) spannte als Organisator der Entwicklungstagung den Bogen zu den dort geführten Debatten.
Zur Bereicherung der Diskussion mit rund 30 Workshop-TeilnehmerInnen waren Elena Gerebizza (Re:Common), Daniel Bacher (Dreikönigsaktion), Karin Fischer (Mattersburger Kreis/Universität Linz), und Elisabeth Schmid (Autorin des Buchs „Die Frage nach dem guten Leben“) geladen. Moderiert wurde der Workshop von Sebastian Linder (WU).
Das gute Leben – eine gute Alternative?
Das kapitalistische Entwicklungsmodell stoße heute an ökologische und soziale Grenzen, stellte Gerald Faschingeder am Beginn des Workshops fest. Es bestehe die Notwendigkeit einer sozioökologischen Transformation und unter den Vorschlägen für alternative Modelle steche Buen Vivir besonders hervor. Das im andinen Raum entwickelte, auf indigener Kosmovision und Praktiken basierende Konzept einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise wurde Leitmotiv vieler sozialökologischer Bewegungen und fand schließlich sogar Eingang in die Verfassungen Ecuadors und Boliviens.
“Repräsentiert dieser Impuls aus dem Süden einen emanzipatorischen Neubeginn für den Entwicklungsdiskurs? Was kann der globale Norden diesbezüglich vom globalen Süden lernen? Und schließlich: Inwieweit kann Buen Vivir den Herausforderungen der sozioökologischen Transformation begegnen?“, fragte Gerald Faschingeder in die Runde und übergab das Wort an Elisabeth Schmid.
Rechte der Natur, Pluralismus, Komplementarität und Solidarität statt Hierarchie
Im Kern des Buen Vivir stehe eine holistische Vision der Welt. Die Welt werde als natürliches, wesenhaftes Ganzes, genannt „Pachamama“ (dt. Mutter Erde), wahrgenommen, erklärte Schmid. Dementsprechend wurde die Natur in den Verfassungen Ecuadors und Boliviens sogar als Subjekt mit Rechten definiert und der Mensch werde als untrennbarer Teil dieser Natur betrachtet. Das allumfassende Ganze werde außerdem pluralistisch gedacht – insofern gehe Buen Vivir nicht von einem, sondern von vielen gleichberechtigten guten Leben aus. Es strebe nach Harmonie in Diversität, doch erkenne, dass dies auch konflikthafte Beziehungen einschließe. Im Umgang damit kämen die Prinzipien der „Komplementarität“ und „Solidarität“ zu tragen: Alles brauche einen Gegenpol um vollkommen zu sein, doch alle Beziehungen sollten von Solidarität geprägt sein, sodass sich Widersprüche letztendlich bereichern.
Das westliche Entwicklungsdenken und dessen inhärente Hierarchie werde von AktivistInnen des Buen Vivir hingegen so beschrieben: „Mensch über Natur, Mann über Frau and weißer Mensch über Allem“. Schmid betonte also, dass Buen Vivir als Kritik dieses Denkens und damit verbundener Krisen entstand und sehr wohl als Alternative zum westlichen Konzept von Entwicklung zu verstehen sei.
Grenzen des Buen Vivir durch realpolitische Verhältnisse
An diesem Punkt wies ein Workshopteilnehmer auf die Widersprüchlichkeit zwischen Theorie und Praxis hin, da Ecuador und Bolivien, trotz Verankerung des Buen Vivir in der Verfassung, einen extremen Ressourcen-Extraktivismus verfolgen. Schmid stimmte zu und erklärte, dass Buen Vivir am Boden der realpolitischen Verhältnisse und gefangen in kapitalistischen Systemzwängen eher zur „alternativen Entwicklung“ verkümmert sei, die mit alten Entwicklungsstrategien einhergehe, anstatt eine Alternative zu Entwicklung durchzusetzen. Dennoch, und so schloss Schmid mit einer positiven Einschätzung, inspiriere es dazu, „Lebenspraxen zu überdenken“ und „eröffne Raum, um Alternativen zu diskutieren“ – das sei die Haupterrungenschaft des Buen Vivir.
Möglichkeiten, vom Buen Vivir zu lernen
Etwas skeptischer gegenüber der Transformationskraft des Buen Vivir zeigte sich Elena Gerebizza, weil dieses keinen Weg finde, Machtverhältnisse (vor allem rund um Öl) herauszufordern. Es bräuchte eine klare Abkehr von Öl-basierter Wirtschaft und „wir alle sind gefordert, Position zu beziehen und Kollektive zu mobilisieren“. Doch wie kommen wir von der individuellen Positionierung zur kollektiven Aktion? Hier helfe der Grundgedanke des Buen Vivir, dass Gesellschaft und Ökologie untrennbar seien, soziale wie ökologische Bewegungen ein gemeinsames Anliegen hätten und sich zusammenschließen könnten, betonte Karin Fischer. Kooperieren sollten vor allem Menschenrechts- und Buen Vivir-AktivistInnen, meinte Daniel Bacher hierzu. Beide haben einen rechtsbasierten Ansatz und darin sehe er viel Transformationspotential – der Menschenrechtsansatz solle aber mit den Rechten der Natur kombiniert werden und kollektive Rechte miteinschließen. Die Ergebnisse der Diskussionen wurden anschließend in der großen Gruppe gesammelt und die TeilnehmerInnen versuchten, Antworten auf die eingangs gestellten Fragen zu formulieren: Das Buen Vivir sei sehr inspirierend für den Entwicklungsdiskurs. Es müsse jedoch auch in unsere Kontexte „übersetzt“ werden. Aus der Beschäftigung mit Buen Vivir im lateinamerikanischen Kontext könnten wir lernen, wie es soziale Bewegungen schaffen, über Verfassungsänderungen neue Maßstäbe zu setzen. Es werde gleichzeitig aber auch klar wie schwierig es ist, diese angesichts alter Machtstrukturen durchzusetzen – und dass es letztendlich nötig sei, diese Machtstrukturen herauszufordern.
Die Autorin studierte Internationale Entwicklung an der Universität Wien.
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Dieser Artikel erscheint auch auf der Webseite der GBW Wien und der Webseite des Paulo Freire Zentrums!